TEILNEHMER:INNEN
Alexandra Landré, Moderation
Nataša Škaričić, Moderation
Vesna Babić, Leiterin des Regierungsamtes gegen Drogenmissbrauch
Barbara Blasin, Künstlerin
Dubravko Klarić, Berater des Regierungsamtes gegen Drogenmissbrauch
Iva Kovač, Künstlerin
Kristina Leko, Künstlerin
Željko Mavrović, ehemaliger Box-Schwergewichts-Europameister, heute tätig inHilfsorganisationen für Drogenabhängige
Benjamin Perasović, Soziologe
Slavko Sakoman, Arzt
Sanja Sarnavka, Vorsitzdende der NGO B.a.b.e.
Robert Torre, Psychiater
Ljubica Matijević Vrsaljko, Rechtsanwältin und ehemalige Ombudsfrau für Kinder
Maja Vučić, Psychologin
Alexandra Landré gibt eine Einführung in das Projekt und fasst unsere Beobachtungen und Fragen aus fünf Projektausführungen TBDWBAJzusammen:
Beobachtung I
Auffallend in der Matrix aller Teilnehmerinnen ist, dass sie schon in der frühes-ten Jugend Gewalt erlebt haben und das selbst Jahre später für sich nicht als abweichendes Verhalten ihrer Umgebung betrachten, sondern als ›normal‹. Die Schuld an ihrer Lebenssituation als Drogenabhängige im Gefängnis schreiben sie sich selbst und ihrer Lebensführung zu
Fragen:
Muss diese Gewalt als eine gängige Umgangsform innerhalb unserer Gesellschaft gesehen werden? Inwiefern kann man von einer kollektiven Akzeptanz von Gewalt im privaten Raum oder von einer allgemeinen Ignoranz der Vorgänge sprechen?
Wie übertragbar sind die Verhältnisse der privaten, geschlossenen Räume auf die gesellschaftspolitischen Strukturen der Länder, diskutiert anhand der Stichworte
- Macht - Staatsgewalt/Macht - Selbstbestimmung - Staatsgewalt - Erziehungsgewalt - Wertschätzung - Trauer -
bzw. die gesellschaftliche Zustimmung, Betrauernswertes erfahren zu haben.
Beobachtung II
TBDWBAJ erzielt seine Ergebnisse und Erkenntnisse nicht zu dem Zweck, kurzfristig emotionale Betroffenheit oder Mitleid beim Betrachter auszulösen, das folgenlos bleibt—bereits vorhandene schiefe Ebenen oder Hierarchien würden damit nur verfestigt. Deshalb verzichtet TBDWBAJ auch auf schockierende Visualisierungen wie sensationelle Bilder aus dem Gefängnis oder von ihrem Leiden gezeichnete Junkies. Vielmehr geht es in dem Projekt um das Herausfinden und Benennen von Fakten, damit das Thema In- und Outcast von verschiedenen Perspektiven aus betrachtet, eingekreist und in einen umfassenderen Diskurs weitergetragen werden kann. Gleichwohl ist dieses Herausfinden und Benennen von Fakten nur dann möglich, wenn sich die Beteiligten aufeinander einlassen und eine Beziehung und Vertrauen zueinander entstehen. Der Austausch soll einen Weg aus dem Intimen heraus finden hin zum menschlichen Intervenieren, was Reflexion und Stellungnahme voraussetzt und einbezieht.
Fragen:
Inwiefern kann das Weitertragen des Diskurses, die Erweiterung des Handlungsraumes und daraus erworbenes Wissen den Umgang mit einer Randgruppe und deren Mitgliedern im Einzelnen beeinflussen oder verändern, und kann eine kritische Reflexion über als gegeben angenommene oder etablierte Positionen einsetzen?
Beobachtung III
Handeln ist eines der Mittel, durch das sich eine demokratische, pluralistische Gesellschaft kontinuierlich selbst realisiert und neu formiert. Dieser Prozess spiegelt sich im öffentlichen Raum wider, wie zum Beispiel in dem Vorgang, in welchem entschieden wird, welche Gruppen willkommen sind, zugelassen oder abgedrängt werden—In- und Outcast. Das Ausschließen einer Gruppe stellt beides, Pluralität und Demokratie, gleichermaßen in Frage. Weiterhin wäre nach den Kriterien zu fragen, anhand derer die Entscheidung getroffen wird, welches Individuum welcher Gruppe zugeordnet wird, ob jemand erwünscht oder unerwünscht ist, oder gar abgewehrt wird. Kann in diesen Prozess eingegriffen werden?
Fragen:
Kann noch von einer demokratischen Öffentlichkeit die Rede sein, wenn Randgruppen einer Gesellschaft hier der Zugang verwehrt oder sie ausgeschlossen werden, und wer entscheidet wie darüber?
Folgt aus der Ent-Demokratisierung des öffentlichen Raumes die Ent-Demokratisierung der Gesellschaft?
Beobachtung IV
TBDWBAJ agiert an der Schnittstelle von Gewalt / Macht, Handeln und Öffent-lichkeit. Sich auf eine gesellschaftlich isolierte Randgruppe zu beziehen und die "Unsichtbaren" über ihre Biografie sichtbar zu machen, ist ein sensibles Thema in jeder Gesellschaft, weil sich sofort Schuldzuweisungen einstellen. Eine vorherrschende Mehrheit vertritt die Meinung, Drogenabhängigkeit beruhe - wie jedes Nicht-Funktionieren-auf persönlicher Unfähigkeit und die Verantwortung für die Folgen der Sucht hätten prinzipiell und ausschließlich die Abhängigen zu tragen. Der Einsatz künstlerischer Mittel im Forschungsprozess und die Schaffung eines Objektes, das die Ergebnisse repräsentiert, gibt andere Informationen weiter und deckt das im Verborgenen Geschehene auf. Ein anderer und differenzierterer Umgang mit dem Thema kann damit eingeleitet werden.
Gespräch
Nataša Škaričić dankt der niederländischen Kuratorin für ihre Beobachtungen und Fragen. Die Moderation und die anschließende Diskussion findet in kroatischer Sprache statt. Die später gelesene, von Iva Prosoli übersetzte Transkription hält den Verlauf des Gespräches fest, in dem vorwiegend die Bedeutung des Projektes TBDWBAJfür das kroatische Justiz- und Gesundheitssystem diskutiert wird: Ist solch eine Kunstpraxis ein Luxus oder eine gute Alternative zum derzeitigen Umgang mit Drogenabhängigkeit? Können künstlerisch-emanzipatorisch wirksame Projekte die Schwächen der Institutionen ersetzen? Was könnte in die Praxis übernommen werden und verändern die Ergebnisse bisherige Auffassungen?
Slavko Sakoman gilt als Autorität auf dem Gebiet der psychiatrischen Behandlung von Drogenabhängigen. Auch er unterstreicht die Wichtigkeit eines geschlechtsspezifischen Ansatzes in der Suchtbehandlung. Frauen seien im hohen Maße Opfer von psychischer, physischer, oft auch sexueller Misshandlung.
Eine kürzlich stattgefundene Untersuchung in vielen europäischen Ländern—u. a. in Kroatien—zu Opfern von gesellschaftlicher Intoleranz bestätige, dass an erster Stelle der verschiedenen sozialen Kategorien die Drogenabhängigen stehen, wobei Frauen stärker als Männer betroffen seien. Besonders im Fall von Schwangeren oder Müttern sei ihre Rehabilitierung mit zu vielen negativen Faktoren beschwert, so dass sie nahezu unmöglich ist.
Für Robert Tore, praktizierender Psychiater für Drogenabhängige, ist TBDWBAJ keine Kunsttherapie, sondern eines der ersten Projekte, in denen zeitgenössische Kunst sich kommunikativ, gesellschaftlich und politisch zugleich für dieses Thema engagiert.
Der Soziologe Benjamin Perasović befürwortet alles, was zur ›Evolution des Bewusstseins‹ beiträgt: »TBDWBAJ verdeutlicht, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Sozialisationsmuster des Patriarchats und des Traditionalismus unhinterfragt angenommen werden.«
Seine ersten Erfahrungen mit Strategien zum Umgang mit Drogenmissbrauch habe er vor etwa zehn Jahren in Kalifornien und in den Niederlanden bei von Frauen organisierten Initiativen gemacht: »… und wenn TBDWBAJ einige Frauen im Knast oder draußen dazu bringt, sich auf ähnliche Weise zu organisieren, werde ich dieses unterstützen.«
Vesna Babić, Abteilungsleiterin im Regierungsamt für Drogenmissbrauch, lobt, dass die Insassinnen des Gefängnis Požega ihre Lebenserfahrungen so optimal geteilt haben: »Wenn etwas von außen in das geschlossene System Gefängnis eingebracht werden kann, ist die Wirksamkeit für die Teilnehmerinnen im therapeutischen Sinne ausgezeichnet und legitimiert so das Projekt.«
Der Polizeichef Dubravko Klarić verteidigt das bestehende institutionelle Angebot in Kroatien. Die Institutionen seien nicht unfähig, sich mit dem Problem des Drogenmissbrauchs auseinanderzusetzen. Er sei in seiner fast 40-jährigen Karriere bei der Polizei viel mit Drogenabhängigkeit und Beschaffungskriminalität konfrontiert worden. Die Regierung investiere zunehmend mehr Geld für Resozialisierung, Edukation und Hilfe und setze seit 2009 auf eine neue Strategie mit Schwerpunkt Prävention und Resozialisierung.
Die Rechtsanwältin Ljubica Matijević Vrsaljko findet sehr wohl, dass TBDWBAJ ›Unfähigkeiten der Institutionen‹ demonstriere. Sie habe oft die in dem Zusammenhang angeklagten Frauen sowohl im strafrechtlichen als auch im allgemeinen Sinne verteidigt. Sie nennt Stichworte: Vergewaltigung, Armut, Drogen. Und es sei wichtig, die Frage nach den Kindern dieser drogenabhängigen Frauen zu stellen. Welche Chancen habe ein solches Kind überhaupt?
»Wenn Frauen aus einer solchen Institution herauskommen, stehen sie vor Problemen wie Arbeitslosigkeit, Stigmatisierung und Armut. Das Sorgerecht für ihre Kinder wird ihnen oft entzogen. Wie sehen ihre Chancen und die ihrer Kinder aus?«
Sie glaubt, dass dieses Projekt eine neue Sensibilität beim Publikum hervorrufen könne: »Es ist extrem wichtig, dass die Gesellschaft den Problemen dieser Frauen und ihrer Kinder nicht gleichgültig gegenübersteht.«
Nataša Škaričić fragt nach der Bedeutung von sozial-engagierter Kunst in Kroatien und bemerkt, dass hier gleich zwei Bereiche angesprochen würden, wo die kroatische Gesellschaft nicht besonders sensibilisiert sei: Kunst und soziale Probleme.
Die Künstlerin Barbara Blasin widerspricht. Sozial-engagierte Werke seien in der zeitgenössischen Kunstpraxis Kroatiens keineswegs ungewöhnlich und spielten eine wichtige Rolle bei der Sensibilisierung der Öffentlichkeit, sie würden jedoch von den Medien sehr selten als künstlerische Projekte verstanden. Sie bezeichnet die Verortung des Projekts TBDWBAJ in verschiedenen Räumen als wirkungsvoll, weil die persönlichen Geschichten der Frauen auf so einprägsame Weise aus dem isolierten Raum hinaus und in den öffentlichen hineingetragen werden.
Die Künstlerin Kristina Leko bestätigt das Interesse an Community Art. Auch wenn sie ihre eigenen Projekte hauptsächlich im Ausland ausführe, realisiere sie auch in Kroatien Arbeiten mit sozial gefährdeten Gruppen wie zum Beispiel Immigranten und Arbeitern. Dabei sei das Konzept der ›Kunst-Demokratisierung, der gesellschaftlichen Teilnahme an der Kunstwerkverwirklichung‹ von großer Bedeutung. In der kroatischen Situation habe sich dies als eine kollektive Kunstpraxis gut entwickelt, es fehle allerdings die Zusammenarbeit mit Institutionen. Sie lobt, dass die Projektausführung TBDWBAJ im Gefängnis gestattet worden sei und dies sei ein gutes Zeichen dafür, dass es in den entsprechenden gesellschaftlichen Strukturen überhaupt Interesse gäbe.
Die Künstlerin Iva Kovač achtet bei Projekten im öffentlichen Raum sehr darauf, wie sich ein Kunstwerk artikuliert: »Es ist von wesentlicher Bedeutung, das passende Modell für die Kommunikation mit der Öffentlichkeit zu finden.«
Das Agieren von TBDWAJ in mehreren Räumen sei ihrer Meinung nach die geeignete Methode, um Knastarbeit und den dazu gehörigen Diskurs am besten zu artikulieren. Sie fragt sich allerdings, ob es den Menschen, die nach dem Drop Off die Baby Doll fänden, klar würde, worum es eigentlich gehe.
Kristina Leko glaubt, dass alle dafür verantwortlich seien, was mit den Baby Dolls geschehe. Ihr Kollege und sie hatten die Baby Doll nicht einfach auf dem Boden liegen lassen können: »Unser Drop Off-Spot war vor einem Polizeibüro. Wir haben mit dem Polizeichef vereinbart, dass die Puppe künftig als Demonstrationsobjekt für die Polizeiarbeit dienen wird.«
Sanja Sarnavka erklärt die Vorgehensweise der N.G.O. B.a.b.e. und betont in dem Zusammenhang, wie wichtig ihnen die Zusammenarbeit mit den Institutionen sei, weil damit Projekte wie TBDWBAJ ermöglicht würden und sie nennt weitere erfolgreiche Beispiele von Kooperationen mit Künstlerinnen wie Sanja Iveković und Barbara Blasin.
Frau Babić eilt nach der Diskussion in die Stadt. Sie hatte gehofft, eine Baby Doll adoptieren zu können. Alle Dolls waren bereits fort.
Transkription: Iva Prosoli
Zusammenfassung: Ulrike Möntmann/ Nina Glockner