TEILNEHMER:INNEN
Gabriele Fischer, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, Leiterin der Drogenambulanz, Suchtforschung und -therapie, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Wien, Österreich
Ulrike Möntmann, Künstlerin, Amsterdam, Niederlande, und Wien, Österreich
Shird-Dieter Schindler, Psychiater, Leiter des Sozialmedizinischen Zentrums Baumgartner Höhe, Zentrum für Suchtkranke, Wien, Österreich
Im ersten Komplizinnentreffen der Psychologie/Psychiatrie sucht Ulrike Möntmann das Gespräch mit den Wiener Psychiater_innen Shird-Dieter Schindler und Gabriele Fischer.
Zu Beginn des Gespräches thematisiert Gabriele Fischer den spezifischen Umgang und die auftretenden gesellschaftlichen Probleme in Bezug auf die Behandlung drogenabhängiger Schwangerer. Sie kritisiert, dass schwangere Suchtkranke – wobei die Gruppe der Alkoholabhängigen die Mehrheit bilde, aber nicht vom System erfasst werde – größtenteils von Allgemeinmediziner_innen behandelt werde. Sie plädiert dafür, wie es auch für andere Risikoschwangerschaften normal sei, dass jene von Spezialisten behandelt würden. Weiterhin bemängelt sie das Fehlen eines „ganzheitlichen Blickes auf das Suchtproblem“ hinsichtlich der Beurteilung, ob Suchtkranke zur Erziehung ihres Kindes in der Lage seien. Hinzu komme in diesem Zusammenhang der Mangel an Kommunikation zwischen dem Jugendamt und der Psychiatrie: Die Doppelrolle des Jugendamtes sei eine Kontradiktion, da es einerseits Hilfestellung leisten und als Schutzbeauftragte / Vertrauensperson agieren müsse und andererseits eine Behörde sei mit Kontrollverpflichtungen, die weitreichende Entscheidungen treffe. Eine größere Distanz und Professionalität seien erforderlich, auch um die bestehende Gefahr einer Perpetuierung der Stigmatisierung von Personen, die seit der Kindheit im institutionalisierten Kreislauf gefangen seien, zu vermeiden.
DROGENPOLITIK IN ÖSTERREICH – ENTSTEHUNG UND STATUS QUO
Die Drogenpolitik Österreichs ist föderalistisch organisiert: Das Bundesministerium vergibt den Beitrag an die Landes- und Dienstdirektion der Länder und diese verteilen, gemäß der Grundförderung des Bundes, Gelder an §15-Einrichtungen, verantwortlich für gesundheitsbezogene Maßnahmen bei Suchtgiftmissbrauch. In Wien selbst findet gegenwärtig ein Paradigmenwechsel in Richtung substituierte Therapie und bessere Abstimmung der einzelnen Angebote statt. Das Gesamtsetting wird vom SDW (Sucht und Drogen Wien) koordiniert.
Shird Schindler bemerkt hierzu, dass diese Institution bisher oft die psychische Situation eines Menschen als Konsequenz seiner sozialer Situation beurteile, während aus psychiatrischer Sicht eher das Umgekehrte der Fall sei, dass die Abhängigkeit eher als Ursache für ein soziales Nicht-Funktionieren gelte. Nur langsam setze sich, so Fischer, das Anerkennen einer Doppeldiagnose bei Drogenabhängigen durch. Sie bemerkt, dass neuesten Studien zufolge 60% der Suchtkrankheiten hereditär seien. An diesem Punkt müsse ganzheitlich angesetzt werden. Schindler fügt hinzu, dass die Suchtkrankheit eine komplexe psychiatrische Erkrankung sei und als solche auch gesellschaftlich wahrgenommen werden müsse.
Fischer bezeichnet den Verwaltungsapparat der Drogen- und Suchtpolitik in Österreich als „unglaubliche Geldverbrennungsmaschine und gleichzeitig riesigen Machtapparat“ mit antiquierten Strukturen. Um eine Fehlsteuerung der Ressourcen zu vermeiden, fordert sie ein zentralisiertes System. Gerade im Bereich der drogenabhängigen Schwangeren sähe sie in einem zentralisierten Kooperationsmodell, bei dem Krankenhäuser mit Spezialbereichen, wie Gynäkologie, Allgemeinmedizin und psychosozialen Einrichtungen zusammenarbeiteten, die Möglichkeit, ein Behandlungsmodell mit effektivem Frühwarnsystem (Schwerpunkt: Prävention) zu entwickeln.
Gabriele Fischer nennt Portugal als positives Beispiel für ein erfolgreiches Modell mit linearen Strukturen an Stelle der Instandhaltung „vieler kleiner Königreiche“. Der lokale Apparat sei dort zugunsten einer linearen Kooperation von Spezialeinrichtungen, Niedergelassenen, Nacht- und Tageskliniken etc. abgeschafft und die Grenzmenge für den Eigenbedarf (z. B. auf bis zu 5 Gramm Heroin) erhöht worden. Die Einsparungen, die durch die verringerte Verfolgung und Repression im Innenministerium, bzw. der Justiz und Exekutive entstünden, führt Fischer aus, flössen direkt in die Finanzierung des Behandlungsmodells.
Diese progressive Drogenpolitik sei u. a. damit zu erklären, dass die europäische Drogenbeobachtungstelle EMCDDA ihren Standort in Lissabon habe. Dem gegenüber stellt sie die Zahlen einer kürzlich erschienenen Studie in Österreich, in der das Verhältnis von Bestrafung und Behandlung unter finanziellem Gesichtspunkt betrachtet wurde: „Eine Jahresbehandlung Opiattherapie kostet 4.000 Euro, ein Jahr im Gefängnis kostet 36.000 Euro.“
Unter Berücksichtigung der föderalistischen Drogenpolitik Österreichs stellt Ulrike Möntmann die Frage, wie unabhängig beide Psychiater_innen bei der Wahl und Umsetzung der Behandlung seien.
Das Ministerium selbst greife nicht direkt in Behandlungen ein, da – anders als z. B. in Deutschland – die Ausübung der Behandlung dem Ärzte- und Arzneimittelgesetz unterliege: „Das Ärztegesetz sagt, wir müssen die neueste Therapie für die Patienten anwenden und nach dem Arzneimittelgesetz die neueste Medikation.“ Jedoch könne die Politik regulieren, indem sie z. B. Einrichtungen schließe und über die Genehmigung von neuen Medikamenten entscheide. Als lang verbeamtete Universitätsprofessorin ist Gabriele Fischer relativ unabhängig in einer – wie Schindler es nennt – „hart erkämpften Narrenfreiheit.“
Shird Schindler steht ebenfalls nicht im direkten Abhängigkeitsverhältnis zum SDW, da seine Institution dem Krankenanstaltsverbund angehört. Seit der Umstrukturierung bestehe allerdings ein Kooperationsauftrag mit dem SDW „auf Augenhöhe“. Der Einfluss der Politik werde dadurch deutlich, dass Teilbereiche geschlossen, Behandlungsaufträge vergeben und Zuständigkeiten verändert worden seien. Im Zuge dessen könnten Patienten mit einer Drogenerkrankung nicht mehr länger als 28 Tage behandelt werden und müssten danach, wenn nötig, an eine Therapiestelle des SDW verwiesen werden. Schindler kann der Umstrukturierung trotz der erheblichen Einschränkungen auch etwas Positives abgewinnen, da nun, aufgrund der Zusammenarbeit mit dem SDW, eine Folgebehandlung bzw. -betreuung nach der Krisenaufnahme eher gewährleistet sei.
Ulrike Möntmann interessiert, ob die verschiedenen Zugehörigkeiten und (Un-)Freiheiten zu einer Isolation innerhalb des Fachgebietes führten. Inwiefern könnten in diesem Rahmen die fachspezifischen Erkenntnisse und auch Informationen zu Behandlungserfolgen, überhaupt zirkulieren?
Gabriele Fischer spricht von ihrer Situation als „Selbstgewählter Isolation“ gegenüber gewissen Instanzen, aber sieht kein Problem bezüglich der ausreichenden Verbreitung ihrer Kenntnisse.
Gabriele Fischer verlässt aus Termingründen die Gruppe, das Gespräch wird fortgeführt und der Fokus auf die Entstehungsgeschichte verschiedener Institutionen in Wien gerichtet. Auf die Frage, wie sich Schindlers jetziges Praktizieren zu seiner Ausbildung verhalte, antwortet dieser: „Das hat eher etwas mit Religionen zu tun, nicht im Sinne von Glauben. […] Alle wollten den Leuten helfen, alle hatten unterschiedliche Konzepte und Ansichten, wo das Problem lag, alle haben sich mit sehr viel Energie und Aufwand dieser Patienten angenommen. Das waren schon charismatische Personen, die begonnen haben, vor 30, 35 Jahren in Österreich Institutionen aufzubauen.“
Er nennt Beispiele Wiener Institutionen („Anton Proksch Institut Wien“, mittlerweile die größte Suchtklinik Europas, das „Sozialmedizinische Zentrum Baumgartner Höhe, Zentrum für Suchtkranke“, „Der Grüne Kreis – Verein zur Rehabilitation und Integration suchtkranker Personen“), die alle ungefähr zur gleichen Zeit mit wenig Mitteln und von einem humanistischen Hilfsgedanken ausgehend entstanden seien, sich aber aufgrund von ideologischen, therapeutischen Differenzen unterschiedlich entwickelt hätten. Durch ideologische Abspaltungen seien hieraus wieder verschiedene andere, kleinere Institutionen entstanden wie z. B. die analytische Einrichtung „Zukunftsschmiede“ (Stationäre Psychotherapie im Umland Wien).
GESELLSCHAFTLICHER PARADIGMENWECHSEL AM BEISPIEL SCHWEIZ
Über die unterschiedlichen ideologischen Auffassungen in Bezug auf den Umgang mit Suchterkrankungen, kommt das Gespräch auf die progressive Drogenpolitik der sonst eher konservativen Schweiz. Aufgrund extremer Zustände, vor der die Politik dort lange die Augen verschlossen habe, so Schindler, habe in der Schweiz ein sehr langsamer, aber konstanter Umdenkungsprozess stattgefunden, der ein Verständnis von Sucht als Erkrankung in der Bevölkerung durchgesetzt habe. Trotz mancher zurückgenommener Liberalisierungsmaßnahmen, wie den „Fixerstüblis“, liege in der Schweiz die Gruppe der Bevölkerung, die Sucht als psychiatrisches Problem definiere – und nicht als „moralische Schädigung“ oder „selbstgewähltes Vergnügen“ – bei 80 – 90%. Für den Psychiater ist die Manifestierung dieser Auffassung als Common Sense ein wesentlicher drogenpolitischer Zielparameter.
In Österreich, mit Ausnahme von Wien, sei man davon allerdings noch weit entfernt. Auch für Gesetzesänderungen zur Umsetzung vieler drogenpolitischer Maßnahmen, fehle aufgrund der gesellschaftlichen Nicht-Akzeptanz von Sucht als Krankheit die politische Basis.
Für Ulrike Möntmann basiert z. B. die niederländische Drogenpolitik, die von außen oft als progressiv wahrgenommen werde, eher „… auf einer unglaublich pragmatischen Anschauung von Leben“. Mit Beispielen wie der „Karlsplatzsäuberung zur Volksberuhigung“ sieht Schindler diesen pragmatischen Ansatz auch teilweise in Wien praktiziert: Das Problem Sucht, in Form der Abwesenheit von Drogenabhängigen im Stadtbild, sei nicht gelöst, die Drogenabhängigen seien nur aus einem bestimmten Teil des öffentlichen Raumes entferntworden und die Situation werde von den Bürgern im Sinne eines Nicht-belästigt-Werden als positiv erfahren.
Transkription und Text: Nina Glockner
Im ersten Komplizinnentreffen der Psychologie/Psychiatrie sucht Ulrike Möntmann das Gespräch mit den Wiener Psychiater_innen Shird-Dieter Schindler und Gabriele Fischer.
Zu Beginn des Gespräches thematisiert Gabriele Fischer den spezifischen Umgang und die auftretenden gesellschaftlichen Probleme in Bezug auf die Behandlung drogenabhängiger Schwangerer. Sie kritisiert, dass schwangere Suchtkranke – wobei die Gruppe der Alkoholabhängigen die Mehrheit bilde, aber nicht vom System erfasst werde – größtenteils von Allgemeinmediziner_innen behandelt werde. Sie plädiert dafür, wie es auch für andere Risikoschwangerschaften normal sei, dass jene von Spezialisten behandelt würden. Weiterhin bemängelt sie das Fehlen eines „ganzheitlichen Blickes auf das Suchtproblem“ hinsichtlich der Beurteilung, ob Suchtkranke zur Erziehung ihres Kindes in der Lage seien. Hinzu komme in diesem Zusammenhang der Mangel an Kommunikation zwischen dem Jugendamt und der Psychiatrie: Die Doppelrolle des Jugendamtes sei eine Kontradiktion, da es einerseits Hilfestellung leisten und als Schutzbeauftragte / Vertrauensperson agieren müsse und andererseits eine Behörde sei mit Kontrollverpflichtungen, die weitreichende Entscheidungen treffe. Eine größere Distanz und Professionalität seien erforderlich, auch um die bestehende Gefahr einer Perpetuierung der Stigmatisierung von Personen, die seit der Kindheit im institutionalisierten Kreislauf gefangen seien, zu vermeiden.
DROGENPOLITIK IN ÖSTERREICH – ENTSTEHUNG UND STATUS QUO
Die Drogenpolitik Österreichs ist föderalistisch organisiert: Das Bundesministerium vergibt den Beitrag an die Landes- und Dienstdirektion der Länder und diese verteilen, gemäß der Grundförderung des Bundes, Gelder an §15-Einrichtungen, verantwortlich für gesundheitsbezogene Maßnahmen bei Suchtgiftmissbrauch. In Wien selbst findet gegenwärtig ein Paradigmenwechsel in Richtung substituierte Therapie und bessere Abstimmung der einzelnen Angebote statt. Das Gesamtsetting wird vom SDW (Sucht und Drogen Wien) koordiniert.
Shird Schindler bemerkt hierzu, dass diese Institution bisher oft die psychische Situation eines Menschen als Konsequenz seiner sozialer Situation beurteile, während aus psychiatrischer Sicht eher das Umgekehrte der Fall sei, dass die Abhängigkeit eher als Ursache für ein soziales Nicht-Funktionieren gelte. Nur langsam setze sich, so Fischer, das Anerkennen einer Doppeldiagnose bei Drogenabhängigen durch. Sie bemerkt, dass neuesten Studien zufolge 60% der Suchtkrankheiten hereditär seien. An diesem Punkt müsse ganzheitlich angesetzt werden. Schindler fügt hinzu, dass die Suchtkrankheit eine komplexe psychiatrische Erkrankung sei und als solche auch gesellschaftlich wahrgenommen werden müsse.
Fischer bezeichnet den Verwaltungsapparat der Drogen- und Suchtpolitik in Österreich als „unglaubliche Geldverbrennungsmaschine und gleichzeitig riesigen Machtapparat“ mit antiquierten Strukturen. Um eine Fehlsteuerung der Ressourcen zu vermeiden, fordert sie ein zentralisiertes System. Gerade im Bereich der drogenabhängigen Schwangeren sähe sie in einem zentralisierten Kooperationsmodell, bei dem Krankenhäuser mit Spezialbereichen, wie Gynäkologie, Allgemeinmedizin und psychosozialen Einrichtungen zusammenarbeiteten, die Möglichkeit, ein Behandlungsmodell mit effektivem Frühwarnsystem (Schwerpunkt: Prävention) zu entwickeln.
Gabriele Fischer nennt Portugal als positives Beispiel für ein erfolgreiches Modell mit linearen Strukturen an Stelle der Instandhaltung „vieler kleiner Königreiche“. Der lokale Apparat sei dort zugunsten einer linearen Kooperation von Spezialeinrichtungen, Niedergelassenen, Nacht- und Tageskliniken etc. abgeschafft und die Grenzmenge für den Eigenbedarf (z. B. auf bis zu 5 Gramm Heroin) erhöht worden. Die Einsparungen, die durch die verringerte Verfolgung und Repression im Innenministerium, bzw. der Justiz und Exekutive entstünden, führt Fischer aus, flössen direkt in die Finanzierung des Behandlungsmodells.
Diese progressive Drogenpolitik sei u. a. damit zu erklären, dass die europäische Drogenbeobachtungstelle EMCDDA ihren Standort in Lissabon habe. Dem gegenüber stellt sie die Zahlen einer kürzlich erschienenen Studie in Österreich, in der das Verhältnis von Bestrafung und Behandlung unter finanziellem Gesichtspunkt betrachtet wurde: „Eine Jahresbehandlung Opiattherapie kostet 4.000 Euro, ein Jahr im Gefängnis kostet 36.000 Euro.“
Unter Berücksichtigung der föderalistischen Drogenpolitik Österreichs stellt Ulrike Möntmann die Frage, wie unabhängig beide Psychiater_innen bei der Wahl und Umsetzung der Behandlung seien.
Das Ministerium selbst greife nicht direkt in Behandlungen ein, da – anders als z. B. in Deutschland – die Ausübung der Behandlung dem Ärzte- und Arzneimittelgesetz unterliege: „Das Ärztegesetz sagt, wir müssen die neueste Therapie für die Patienten anwenden und nach dem Arzneimittelgesetz die neueste Medikation.“ Jedoch könne die Politik regulieren, indem sie z. B. Einrichtungen schließe und über die Genehmigung von neuen Medikamenten entscheide. Als lang verbeamtete Universitätsprofessorin ist Gabriele Fischer relativ unabhängig in einer – wie Schindler es nennt – „hart erkämpften Narrenfreiheit.“
Shird Schindler steht ebenfalls nicht im direkten Abhängigkeitsverhältnis zum SDW, da seine Institution dem Krankenanstaltsverbund angehört. Seit der Umstrukturierung bestehe allerdings ein Kooperationsauftrag mit dem SDW „auf Augenhöhe“. Der Einfluss der Politik werde dadurch deutlich, dass Teilbereiche geschlossen, Behandlungsaufträge vergeben und Zuständigkeiten verändert worden seien. Im Zuge dessen könnten Patienten mit einer Drogenerkrankung nicht mehr länger als 28 Tage behandelt werden und müssten danach, wenn nötig, an eine Therapiestelle des SDW verwiesen werden. Schindler kann der Umstrukturierung trotz der erheblichen Einschränkungen auch etwas Positives abgewinnen, da nun, aufgrund der Zusammenarbeit mit dem SDW, eine Folgebehandlung bzw. -betreuung nach der Krisenaufnahme eher gewährleistet sei.
Ulrike Möntmann interessiert, ob die verschiedenen Zugehörigkeiten und (Un-)Freiheiten zu einer Isolation innerhalb des Fachgebietes führten. Inwiefern könnten in diesem Rahmen die fachspezifischen Erkenntnisse und auch Informationen zu Behandlungserfolgen, überhaupt zirkulieren?
Gabriele Fischer spricht von ihrer Situation als „Selbstgewählter Isolation“ gegenüber gewissen Instanzen, aber sieht kein Problem bezüglich der ausreichenden Verbreitung ihrer Kenntnisse.
Gabriele Fischer verlässt aus Termingründen die Gruppe, das Gespräch wird fortgeführt und der Fokus auf die Entstehungsgeschichte verschiedener Institutionen in Wien gerichtet. Auf die Frage, wie sich Schindlers jetziges Praktizieren zu seiner Ausbildung verhalte, antwortet dieser: „Das hat eher etwas mit Religionen zu tun, nicht im Sinne von Glauben. […] Alle wollten den Leuten helfen, alle hatten unterschiedliche Konzepte und Ansichten, wo das Problem lag, alle haben sich mit sehr viel Energie und Aufwand dieser Patienten angenommen. Das waren schon charismatische Personen, die begonnen haben, vor 30, 35 Jahren in Österreich Institutionen aufzubauen.“
Er nennt Beispiele Wiener Institutionen („Anton Proksch Institut Wien“, mittlerweile die größte Suchtklinik Europas, das „Sozialmedizinische Zentrum Baumgartner Höhe, Zentrum für Suchtkranke“, „Der Grüne Kreis – Verein zur Rehabilitation und Integration suchtkranker Personen“), die alle ungefähr zur gleichen Zeit mit wenig Mitteln und von einem humanistischen Hilfsgedanken ausgehend entstanden seien, sich aber aufgrund von ideologischen, therapeutischen Differenzen unterschiedlich entwickelt hätten. Durch ideologische Abspaltungen seien hieraus wieder verschiedene andere, kleinere Institutionen entstanden wie z. B. die analytische Einrichtung „Zukunftsschmiede“ (Stationäre Psychotherapie im Umland Wien).
GESELLSCHAFTLICHER PARADIGMENWECHSEL AM BEISPIEL SCHWEIZ
Über die unterschiedlichen ideologischen Auffassungen in Bezug auf den Umgang mit Suchterkrankungen, kommt das Gespräch auf die progressive Drogenpolitik der sonst eher konservativen Schweiz. Aufgrund extremer Zustände, vor der die Politik dort lange die Augen verschlossen habe, so Schindler, habe in der Schweiz ein sehr langsamer, aber konstanter Umdenkungsprozess stattgefunden, der ein Verständnis von Sucht als Erkrankung in der Bevölkerung durchgesetzt habe. Trotz mancher zurückgenommener Liberalisierungsmaßnahmen, wie den „Fixerstüblis“, liege in der Schweiz die Gruppe der Bevölkerung, die Sucht als psychiatrisches Problem definiere – und nicht als „moralische Schädigung“ oder „selbstgewähltes Vergnügen“ – bei 80 – 90%. Für den Psychiater ist die Manifestierung dieser Auffassung als Common Sense ein wesentlicher drogenpolitischer Zielparameter.
In Österreich, mit Ausnahme von Wien, sei man davon allerdings noch weit entfernt. Auch für Gesetzesänderungen zur Umsetzung vieler drogenpolitischer Maßnahmen, fehle aufgrund der gesellschaftlichen Nicht-Akzeptanz von Sucht als Krankheit die politische Basis.
Für Ulrike Möntmann basiert z. B. die niederländische Drogenpolitik, die von außen oft als progressiv wahrgenommen werde, eher „… auf einer unglaublich pragmatischen Anschauung von Leben“. Mit Beispielen wie der „Karlsplatzsäuberung zur Volksberuhigung“ sieht Schindler diesen pragmatischen Ansatz auch teilweise in Wien praktiziert: Das Problem Sucht, in Form der Abwesenheit von Drogenabhängigen im Stadtbild, sei nicht gelöst, die Drogenabhängigen seien nur aus einem bestimmten Teil des öffentlichen Raumes entferntworden und die Situation werde von den Bürgern im Sinne eines Nicht-belästigt-Werden als positiv erfahren.
Transkription und Text: Nina Glockner