Outcast Registration

KÜNSTLERISCHE FORSCHUNG IM KONTEXT

KUNST III

13 Dezember 2013, WIEN

TEILNEHMER:INNEN

Elke Bippus, Kunsttheorie/-geschichte, ZHdK Zürcher Hochschule der Künste, Zürich, Schweiz
Nina Glockner, Künstlerin, Amsterdam, Niederlande, und Wien, Österreich
Alexandra Landré, Kunstgeschichte und Kuratorin, Amsterdam, Niederlande
Ulrike Möntmann, Künstlerin, Amsterdam, Niederlande, und Wien, Österreich
Shird-Dieter Schindler, Psychiater, Leiter des Sozialmedizinischen Zentrums Baumgartner Höhe, Zentrum für Suchtkranke, Wien, Österreich
Ruth Sonderegger, Philosophie und Kunsttheorie, Akademie der bildenden Künste, Wien, Österreich
Felix Stalder, Medienwissenschaften, ZHdK Zürcher Hochschule der Künste, Zürich, Schweiz und Wien, Österreich

Das dritte Komplizinnentreffen der Kunsttheorie, Kunstgeschichte und Philosophie findet als semiöffentliche Veranstaltung im Rahmen der Ausstellung „Out of the Box – 10 Fragen an künstlerische Forschung“* im Museum für angewandte Kunst statt. Das Projekt TBDWBAJ ist eines der zehn ausgestellten Projekte künstlerischer Forschung. Ulrike Möntmann zeigt hier u. a. ihre neue Audioinstallation European Outcast Choir.

Während die Diskussion sich im ersten Teil auf das Verhältnis der künstlerischen Praxis Möntmanns im (kunst-)therapeutischen Kontext fokussiert, werden im zweiten Teil – ausgehend von der Ausstellung vor Ort – Fragen bezüglich der Präsentation künstlerischer Forschung im Allgemeinen und der (Re-)Präsentation des Projektes TBDWBAJ im Besonderen erläutert.

TEIL I

EUROPEAN OUTCAST CHOIR

Das Audioarchiv besteht aus den 18 Biografien der Teilnehmerinnen, die jeweils von der Biografin in ihrer Muttersprache bzw. ihrem Dialekt, ausgesprochen werden. Das Archiv kann variabel installiert werden, es gibt zahllose Möglichkeiten, die biografischen Aussagen hörbar zu machen. Die Installation EUROPEAN OUTCAST CHOIR besteht aus einem hängenden Lautsprecher-Kreis, in den die Zuhörer_in eintreten kann. In der Mitte des Kreises sind die Sprechfragmente aller Biografien wie eine Art Chor zu hören. Wer sich in die Richtung eines Lautsprechers bewegt, hört die vollständige Biografie einer Person. Die Übersetzungen der kroatischen, niederländischen, friesischen und schweizerdeutschen Sätze werden außerhalb des Zirkels synchron zur Aussprache als Untertitel projiziert.

(Projektbeschreibung U. Möntmann)

Elke Bippus beschreibt die Wirkung der Arbeit EOC als etwas „Vertrautes, auch womöglich ästhetisch Vertrautes. […] Es ist nicht so, dass die Schicksale uns entgegen schreien, es ist keine ästhetisch eingesetzte Überrumpelung, sondern hier öffnet sich mir etwas Vertrautes. Und dann kann ich zuhören.“ Alexandra Landré erfährt den Chor als eine „vertraute Geräuschkulisse“, die einen alltäglich gewordenen Ausnahmezustand vermittele. Die Installation komme ohne Schockelemente aus, fordere dabei jedoch die Empathie der BesucherInnen stark ein. Trotz der sachlichen und distanzierten Aussprache der Biografien nimmt Bippus gerade bei den einzelnen Stimmen wahr, dass sich „… eine andere Gebrochenheit, ein anderes Leben“ mit vermittelt.

In diesem Zusammenhang beschreiben Möntmann und Glockner die Methode, mit der die Biografien und die darauf folgenden Audioaufnahmen erarbeitet worden sind. Die Biografien sind immer aus der Ich-Perspektive und im Präsens geschrieben. Im Gefängnis werden diese Resultate dann – von den Teilnehmerinnen selbst gesprochen – aufgenommen. Während dieses Arbeitsschrittes finde keine inhaltliche Auseinandersetzung statt, sondern man könne das Verfahren eher als „Sprachtraining ohne Gefühlsausbrüche“ beschreiben, führt Glockner aus, bei dem die einzelnen Sätze als Material behandelt würden. Die sachliche Aussprache der Biografien, ohne Dramatik in der Stimme, entspreche, so Möntmann, dem Selbstverständnis der Frauen in Bezug auf die Ereignisse in ihren Leben. In der EOC-Installation, so Landré, transportierten die Stimmen ein Paradox von Inhalten der Erinnerung und „Distanz zur Erinnerung selbst“.

Shird Schindler erkennt in eben diesem Paradox eine charakteristische Normalität von Suchtpatienten: „Dass diese Dissoziation, diese Entkoppelung von mir selbst stattfindet, passiert, wenn man Sachen erlebt hat, die quasi unvorstellbar […] sind. Da ist etwas, was es gibt, aber wenn ich den Bezug dazu immer aufrecht erhalte, dann zerbreche ich wahrscheinlich. Deshalb muss ich diese Schutzbarriere einbauen als eine wichtige Maßnahme, nicht im Sinne von ‚krank‘, sondern von überlebensnotwendig.“

Er beschreibt daraufhin die Wirkung von Drogen als „Lautstärkeregler“, mit dem sich die Erinnerung an traumatische Ereignisse – die belastende „Hintergrundmusik“ – so reduzieren ließe, dass man glaube, sie sei verschwunden: „Gewisse Erinnerungen haben mit gewissen Trägersubstanzen zu tun und deshalb sind die Drogen auch wichtig, weil sie genau in diese Kreisläufe hineinwirken“. Es sei im therapeutischen Sinne wichtig, diese Hintergrundmusik zu erkennen, vor allem mit dem Ziel einer positiven Überschreibung. Das Erinnern, führt Schindler aus, sei im Allgemeinen ein sehr aktiver Prozess, bei dem eine ständige Über- bzw. Umschreibung der alten Erinnerung stattfinde. So werden in Therapien oft zusätzlich zum Angebot eines Sicherheit bietenden, psychotherapeutischen Settings Medikamente verwendet, um während des Erinnerungsprozesses negative körperliche Erscheinungen wie Unruhe, Herzklopfen usw., die an die ursprünglichen Erlebnisse gekoppelt seien, zu unterdrücken, womit die Erinnerungen weniger negativ abgespeichert werden könnten: „Solange ich immer wieder dieselbe körperliche Reaktion habe, kann ich die Erinnerung nicht ändern. […] Wenn ich es schaffe, positive Emotionen dazu zu kriegen, dann kann ich die Erinnerungen ins Positive wenden.“ Somit sei also eine Umschreibung anstatt einer Fixierung durch Re-Traumatisierung möglich.

An dieser Stelle fügt Bippus hinzu, dass der Kunst oft eine ähnliche Wirkung zugeschrieben werde: „Die Ästhetisierung befähigt dich, dich einer Sache anzunähern. Sonst würdest du dich davor schützen. Man kann sich dem Schrecken annähern, man kann sich Kriegsgeschichten annähern, allem, was man sonst eher verdrängen würde, durch eine gewisse ästhetische Übersetzung.“

Es gehe, führt Schindler aus, in jedem Fall um das Aufladen der Erinnerungsphase mit einer zusätzlichen – nicht unbedingt ästhetischen – Funktion, um Abstand zu generieren. Im Gegensatz zu anderen Therapieformen baue gerade die Kunsttherapie verstärkt diesen „Moment der Distanz“ ein: Nicht der Therapeut werde hier zur direkten „Projektionsfigur“, sondern die entstehende Gestaltung wirke sowohl während der Tätigkeit, als auch in der darauffolgenden (gemeinsamen) Reflexion als „Projektionsfläche“, als „Zwischenglied“ im Verhältnis von Therapeut_in und Patient_in.

Daraufhin wird die Frage diskutiert, inwiefern Möntmanns künstlerische Praxis in der Peripherie von Kunsttherapie verortet werden könne. Sie selbst „… würde nie den Anspruch erheben, kunsttherapeutisch zu arbeiten“. Im Gegensatz zur Kunsttherapie, bei der das gestaltete Material bei der Therapeutin und Patientin verbleibe, bringe sie die generierte Information in die Welt: „Ich füge die Lebenswege der Frauen der Normalität hinzu, weil ich es wichtig finde, den Ausschluss, der moralisch und moralisierend schon stattgefunden hat, sichtbar zu machen. […] Und das Vehikel dazu ist das Aufstehen, die Stimme zu erheben. Es ist geradezu sichtbar, dass in der Zusammenarbeit ein Bewusstsein entsteht, das sich bei den Frauen physisch als Ausbreiten der Schulterpartie bemerkbar macht.“ Auch wenn es sich bei dem Projekt nicht um eine kunsttherapeutische Arbeit handele, könne es, so Elke Bippus, gleichzeitig kunsttherapeutische Effekte haben. „Dadurch, dass sich das Material, das entsteht, wieder loslöst von der Beziehung zwischen der Frau und dem Material“, könne es „in einem anderen Kontext bedeutsam und anders genutzt werden. […] Eigentlich hat man eine Form, in der sich etwas artikuliert oder realisiert hat, zu der man immer wieder zurückkehren und sie befragen kann.“ Für Schindler geht das Projekt viele Schritte weiter als Kunsttherapie und beinhalte trotzdem therapeutische Elemente, gerade da es sich – wie es in fast jedem therapeutischen Ansatz zu finden sei – mit der Selbstwertproblematik der Suchtkranken beschäftige. „Die Aussagen der Frauen werden in die Welt getragen und sind auch ein Teil des Lebens. Ich tue mich schwer, das ‚Normalität‘ zu nennen. Aber Teil der Normalität ist auch das Kranke, so wie der Tod Teil des Lebens ist.“ Für ihn sei schon der Status der Künstler_in, von dem aus die Zusammenarbeit realisiert werde, ein großer Unterschied zum therapeutischen Ausgangspunkt.

Möntmann betont zudem die unterschiedlichen Zielstellungen: Während es im therapeutischen Sinne um eine Veränderung bzw. Verbesserung gehe, oft bis hin zum drogenfreien Leben als Ziel, richte sich ihr Projekt auf eine Erweiterung des (Selbst-)Bewusstseins. Die dokumentierten Sätze der Biografien und die Matrix nähmen die Teilnehmerinnen trotz der inhaltlichen Heftigkeit als „Existenzberechtigung“ wahr.

Für Schindler wirkt das Projekt somit auch auf Existenzprobleme ein, die generell eine wichtige Rolle im therapeutischen Kontext spielen: „Manche haben mit der Frage zu tun, ob sie überhaupt existieren. Das sind pränatale Probleme, die Abtreibungsversuche oder irgendwelche dramatischen Zeiten vor der Geburt zum Anlass haben. In solchen Fällen besteht für die Betroffenen eine gewisse Unsicherheit: Gibt es mich wirklich? Denn, bevor ich überhaupt da war, existierte eine feindliche, gegen mich gerichtete Energie. Dann kommt als nächster Schritt mit der Geburt: Ich bin da, ich bin auf der Erde. Aber auch dort kann es Probleme gegeben haben, eine schwierige Geburt, Kaiserschnitt usw., auch dort kann ein Moment eines psychischen Knackpunktes angesiedelt sein. Und danach stellt sich die Frage: Bin ich so wie ich bin, wertvoll? Das Thema des Auf-der-Welt-Seins. Und ich denke, die ganze Arbeit (TBDWBAJ) hat sehr viel damit zu tun, dass eine Bestätigung dessen erfolgt.“

METHODE MATRIX

Jede Matrix ist die formale Beschreibung eines Lebens, eine Ordnung. Basisbegriffe, die auf separaten Vordrucken zur Verfügung stehen, werden ausgeschnitten und auf einem Blatt den betreffenden Lebensjahren zugeordnet. Zunächst geht es um Grundbegriffe allgemeiner Art, wie Familie, Geld, Glück, Gewalt, Trost, Drogen, Gesundheit, Beziehung, Ausbildung, Versorgung, Aufnahme, Krankenhaus usw. Die Begriffe sind sowohl positiv als auch negativ einsetzbar, es geht um das Feststellen von Gegebenheiten, die in jedem Menschenleben eine Rolle spielen. Weiterhin sind Begriffe in Sub-Themen eingeordnet und spezifiziert wie beispielsweise: Mutter, Vater, Schwester, Kind, Onkel, Haus, Zuhause, Heim, obdachlos, sexuelle Gewalt, verbale Gewalt, körperliche Gewalt, Zuneigung, Freundschaft, Kameradschaft, alle Arten von Drogen, viele physische und mentale Krankheiten und Störungen, Tod, Bindung, Geliebte_r, Liebe, Vertrauen, Verwahrlosung, Scheidung, Psychiatrie, Zwangsaufnahme, Therapie, Krisenaufnahme, Gefängnis, usw.

(Projektbeschreibung U. Möntmann)

Schindler nennt die Begrenzung von Möglichkeiten als „haupt-kunsttherapeutisches Element“ und kommt damit auf die von Möntmann entwickelte Matrix-Methode zu sprechen, mit der die Biografien erarbeitet werden und die für ihn deutlich dieses therapeutische Element enthält: „Nichts ist unendlich verfügbar, man muss sich mit dem Gegebenen abfinden, kann vielleicht darum kämpfen, das eine oder andere dazuzubekommen. Und dieses wird gestaltet und es entsteht eine gewisse Form, eine gewisse Struktur.“ Im therapeutischen Sinne sei diese „Begrenzung“ notwendig: „Wenn man immer alles möglich macht, dann kommt man nie an diese Grenzen.“

Während diese Begrenzung, die in der Matrix-Methode gehandhabt wird, als unentbehrliches Mittel der Therapie gelte, werde, so Bippus, im Kunstkontext teilweise Kritik am standardisierenden Charakter geäußert.

Felix Stalder fragt in diesem Zusammenhang nach dem direkten Effekt dieser Methode auf die Teilnehmerinnen: „Wie stark spielt es eine Rolle, dass das Formular für alle gleich ist? Dass sich ihr Leben quasi in gleicher Weise darstellen lässt wie andere Leben, dass es keine Ausnahme ist, dass es genauso hineinpasst in dieses hochgradig standardisierte Format wie alle anderen auch. Ist das etwas Positives?“

Ulrike Möntmann beschreibt die Wirkung als „beruhigend“, Schindler hält sie für „entkrampfend“. An dieser Stelle vermutet Elke Bippus einen an die Zielsetzung des Projektes anschließenden Effekt: „Ich glaube, dass es die Matrix erlaubt, sich und das Erlebte in so etwas wie Normalität einzutragen. Die Frauen sind nicht gezwungen ihr eigenes, individuelles Schicksal zu rechtfertigen, zu verurteilen oder darzulegen wie sie es bearbeiten müssten oder bearbeitet haben, sondern sie können dieses durch die Matrix als Teil einer „Normalität“ beschreiben. Und damit entsteht eine Möglichkeit, es zu fassen.“ Ursprünglich zur Vermeidung einer Re-Traumatisierung entwickelt, ermögliche es diese Methode, neue Formulierungen des eigenen Lebens zu finden. „Bei der Matrix wird man mit dem Zerfallen einer standardisierten und früher erfolgten Beurteilung konfrontiert. Plötzlich bestehen diese Festlegungen nicht mehr und du kommst zu neuen Gedankengängen.“ (Möntmann)

Schindler sieht hier erneut den Effekt der Überschreibung: „In einem neuen Kontext überschreibe ich die Erinnerung […] mit einer neuen Kombination selbstgewählter Worte. Und ‚selbstgewählt‘ ist hierbei etwas sehr Wichtiges. Dass ich die Kontrolle darüber habe, welche Worte ich auswähle.“ Diese Neuformulierung sieht Felix Stalder nicht nur als Überschreibung der eigenen Darstellungsweise, sondern auch der internalisierten Fremdzuschreibungen, also von dem, was „… andere für mich formuliert haben.“ Standardisierungen geben seiner Meinung nach „… auf einer Ebene Freiheit und auf einer anderen nicht. Du legst gewisse Dinge fest, standardisierst, um damit gewisse andere Dinge auszulösen.“

TEIL II

INSTITUTIONALISIERUNG KÜNSTLERISCHER FORSCHUNG

Ruth Sonderegger thematisiert mit Bezug auf den musealen Kontext, in dem dieses Komplizinnentreffen stattfindet, die Institutionalisierung der künstlerischen Forschung: „Man muss noch einmal ganz neu fragen, ob es künstlerische Forschung in diesem administrativen Raum überhaupt geben soll und um welchen Preis […] und ob man unter diesem Begriff arbeiten will, ob man unter diesen Institutionen arbeiten will.“ Welchen Einfluss, fragt sie weiter, haben die Rahmenbedingungen des PEEK-Formates und das Eingebunden-Sein in die Universitätsstruktur der Angewandten auf das Projekt, bzw. die Forschung? Obgleich der Einfluss institutioneller Rahmenbedingungen kein Spezifikum von Kunst&Forschung sei, bestehe die Notwendigkeit, diesen zu problematisieren, auch am aktuellen Beispiel MAK. Im Namen sogenannter Synergieeffekte, kuratiere in diesem Fall ein MA-Studiengang der Universität für angewandte Kunst ein Ausstellungsprojekt mit dem Thema „Künstlerische Forschung“, so Ulrike, einer Idee des Direktors der Universität, wobei die der Universität verbundenen Forschungsprojekte in diesen Rahmen eingesetzt würden. „Was macht das mit den einzelnen Projekten? Ist es ein forscherisches Surplus oder gerade nicht?“

Alexandra Landré interessiert dabei vor allem die Frage, wie man mit bestehenden Kontexten, „Machtgefügen“, umgehen könne, um eine funktionierende Zusammenarbeit im institutionellen Raum, bzw. mit Kuratoren, zu ermöglichen. „Im Zuge der Forschung muss ein Freiraum kreiert werden […], eine andere Form der kreativen Koproduktion oder des Austausches.“ Für Landré hat die Besetzung dieses Raumes einen Stellenwert innerhalb der Struktur von Möntmanns Arbeit und sie plädiert für die Umkehrung des Dilemmas in eine „positive Definition der benötigten Konditionen“.

Ausstellungen zu machen und Synergieeffekte zu nutzen, sei nicht generell das Problem, schließt Bippus an, sondern dieses liege eher darin begründet, dass Ausstellungen auf Repräsentation ausgerichtet und auf bestimmte Zeit beschränkt seien, so dass keine Zusammenarbeit entstehen könne. Für sie sei die Frage entscheidend, ob ein sich Einlassen (auch finanziell) auf den institutionellen Rahmen ein ausschließlich pragmatisches und strategisches Handeln erzwinge und ob in diesem aufgestellten Rahmen überhaupt etwas entwickelt werden könne.

Felix Stalder erläutert, dass sich verändernde institutionelle Strukturen nicht nur in Kunst&Forschung dazu führten, dass jeder, um funktionieren zu können, viel zu viel parallel machen müsse und somit ein „enges Effizienzdenken“ entstehe.

Als Konsequenz dessen nennt Sonderegger die wachsende Bedeutung der eigenen „Zeitpolitik“, wobei sie selbst versuche, so viel wie möglich auf Inhalte zu achten. Zurückblickend auf die bisherigen Komplizinnentreffen, die außerhalb der Institutionen stattgefunden hatten, betont sie deren besondere inhaltliche Auseinandersetzung, auch im Vergleich zum „gewöhnlichen Forschungsalltag“. „Wenn man die Ästhetik der Existenz von Foucault** ernst nimmt, dann stellen sich genau diese Fragen: Welche Angebote nehme ich an? Oder warum nicht? Und jeden Tag wieder.“ Sonderegger betont im Weiteren, dass gerade die (temporäre) Aneignung von Räumen essentiell für das Projekt TBDWBAJ sei und plädiert für eine Erweiterung der bestehenden Raumstudien bzw. Raumdiagramme: „Außer den Knästen und den Straßen, gibt es jetzt die PEEK-Räume, es gibt Institutionen für Kunst&Forschung […] und ich glaube, über die müsste man jetzt genauso sorgsam nachdenken, wie über die anderen Räume.“

Für Bippus geht es ebenfalls um ein Nachdenken über den „Raum der Kunst, auch der Wissenschaft“. Die Zusammenarbeit zwischen Bippus als Visitor des Projektes und Möntmann als Projektleiterin, sei innerhalb der PEEK-Vorgaben definiert: „Irgendetwas muss nach diesen drei Jahren vermittelbar sein. Damit kann man dann arbeiten, aber schon ist man in dieser Schleife drin. Und das ist, was ich mit Involviertheit meine: Wir sind Teil dieser Struktur. Das muss man sich jedes Mal klar machen und dann auch fähig sein zu entscheiden: Wo macht man etwas pragmatisch, wo strategisch und wo müssen dann freie Räume sein?“

KÜNSTLERISCHE FORSCHUNG UND AUSSTELLUNG

An dieser Stelle wird erneut über die Ausstellung „Out of the Box – 10 Fragen an künstlerische Forschung“ gesprochen. Alexandra Landré erkennt eine „Überschreibung“ der einzelnen Arbeiten aufgrund bestimmter Displaystrukturen und der Verwendung starker graphischer Mittel wie z. B. der strategisch überlegten Positionierung ausschließlich von Worten an den Wänden: „Meiner Meinung nach funktioniert eine Ausstellung als facility, die einer Arbeit ermöglicht den Raum zu besetzen. Und hier ist es anders, das Raumkonzept dominiert die einzelnen Arbeiten.“

Felix Stalder sieht hier einen direkten Zusammenhang mit der institutionellen Struktur von Kunst&Forschung, in der seiner Meinung nach die Institution viel stärker und früher in die Arbeit, bzw. den Entstehungsprozess eingreife als bei anderen Ausstellungssituationen. Dieses Eingreifen sieht Bippus vor allem auf der Vermittlungsebene: „Im Unterschied zu anderen Ausstellungen wird hier eine Vermittlungsstrategie angewendet, die die einzelnen Arbeiten als Forschungen markiert und so dem Gebiet der künstlerischen Forschung zuschreibt.

Sonderegger bringt die Frage ein, ob künstlerische Forschung generell ausgestellt werden wolle. Während Möntmann einer Ausstellung von künstlerischer Forschung kritisch gegenübersteht, ist für Bippus die Entscheidung für eine geeignete Präsentation davon abhängig, was sich aus spezifischen Prozessen und Fragestellungen ergibt. Ihr geht es nicht um die „Illustration von Forschung“ sondern um die Verknüpfung verschiedener Felder und Qualitäten.

Felix Stalder bezieht sich erneut auf die Wirkmächtigkeit der Institutionen, die die Dinge, die eigentlich einmal einen emanzipatorischen Charakter gehabt hätten, vereinnahme, wie z. B. die Verschiebung des fertigen Werkes hin zum Prozess: „Ist Forschung eine Methode oder eine zwischengeschaltete Tätigkeit, die irgendwo zwischen dem Anfang mit der Frage und dem Ende in Form des Outputs liegt und damit eigentlich unsichtbar ist für die Öffentlichkeit? Oder ist das eine Art Dauerperformance? […] Soll die Forschung ausgestellt werden, was ich seltsam finde, oder soll eine künstlerische Arbeit ausgestellt werden, die als künstlerische Arbeit auftritt, aber durch den Prozess des Forschens eine spezifische andere Form und Ausrichtung hat, die es ohne den Forschungsanteil nicht hätte?“

Während Bippus die Form der Ausstellung als möglichen „weiteren Bearbeitungsschritt“ innerhalb des künstlerisch forschenden Prozesses sieht, erkennt Landré im Ausstellungsformat potenziell eine „Methode“, eine „Versuchsanordnung“, bei der es nicht um die „Illustration oder Materialisierung der eigenen Ideen“ gehe, sondern darum, diese in der Auseinandersetzung mit einem Publikum weiter zu entwickeln.

Ruth Sonderegger hinterfragt die Notwendigkeit der musealen Repräsentation von Möntmanns Arbeit: „In den ganzen Prozessen trittst du in verschiedene (Halb-) Öffentlichkeiten, gehst in geschlossene Räume – und das ist ein komplexes Ineinander. Ich frage mich bei deiner Arbeit […] was darüber hinaus, dass du Knastarbeit machst, dass du deine Arbeit in die Öffentlichkeit bringst, muss man noch repräsentieren?“ […] „Bislang stand im Zentrum deiner Arbeit die Verweigerung eines Großteils des Kunstraumes […] und dass du mit Knastfrauen ganz neue Fragestellungen und Arbeitsformen entwickelt hast. So habe ich es mir immer vorgestellt: Du möchtest mit den Frauen etwas entwickeln. Und das kommt vor allem den Frauen zugute, du hast davon aber auch selbst etwas und möchtest mit allen möglichen Mitteln über diese Institution forschen. Aus dieser Arbeit heraus entsteht zum Beispiel das Objekt der Puppen, nicht weil du die Puppen toll findest. Das Besondere an ihnen resultiert aus der Auseinandersetzung mit den Knastfrauen. Es geht vor allem um die. Vielleicht geht es auch noch um eine Scientific Community von Psychiatern und Knastmitarbeitern. Und wenn du an einem Projekt arbeitest, dann denkst du wahrscheinlich nicht an ein Ausstellungspublikum. Ich glaube, sobald man anfängt, für so einen Raum wie etwa das ZKM zu planen, muss man auch an andere Leute denken, denen sich etwas erschließen soll. […] Ich habe noch keine Antwort, aber bislang hat sich mir dein Projekt präsentiert als extrem intelligente, verantwortungsvolle Form, ein Zwischending von Sozialarbeit, von Forschung mit kreativen, künstlerischen Mitteln […] aber nicht als etwas, das mit einer Ausstellung aufhört.“

Als Beispiel einer gelungenen Präsentation nennt sie das veröffentlichte Gespräch zwischen Elke Bippus und Möntmann in T:G/10 ***; dort seien Forschungsergebnisse eingespielt, in Form von Fotos, von Grafiken, von Momenten. Obgleich es für Sonderegger spannend bleibt, das Projekt einer größeren Öffentlichkeit zu vermitteln, sei der Kunstraum nicht die einzige Möglichkeit, sondern man könne auch einen anderen öffentlichen Raum andenken (z. B. Rathaus, Medizinmuseum, Straße…?).

Hinsichtlich des geeigneten Präsentationsformates und Geltungsanspruches des produzierten Wissens, konstatiert Bippus eine Trennung des Projektes in zwei Phasen: Die vorläufig abgeschlossene, ausführende Projektphase und die Auswertungsphase in Zusammenarbeit mit verschiedenen Wissenschaftler_innen, Grafiker_innen etc.: „Damit ist das Feld von Kunst und Wissenschaft schon beschritten worden, bestimmte Fragen sind aufgetaucht und die Öffentlichkeit wird spezifiziert.“ Sie erwähnt hier erneut die Eigendynamik der PEEK-Förderung, die mit der Bestimmung eines zeitlichen Rahmens und wegen gewisser Organisationsstrukturen eine Abschlusspräsentation der Forschungsjahre indirekt einfordere.

Doch Ulrike Möntmann teilt diese Meinung nur bedingt, da die Projektmethoden und -ziele schon vor PEEK konzipiert gewesen seien und die Forschungsarbeit ausschließlich der projekt-inhärenten Logik folge. Mit den Mitteln von PEEK finde keine Kursänderung, sondern eine beschleunigte und stabilisierte Fortführung des Projektes statt, wobei Begegnungen, Experimente und eine Intensivierung von Zusammenarbeit (Mitarbeit, Staffellauf, Komplizinnentreffen) einfacher realisiert werden könnten. Das Buch bleibe, wie schon vor der Zusprechung der PEEK-Mittel festgelegt, die zentrale Präsentationsform und bilde die Grundlage für die geplante Ausstellung: „Das Buch ist der freieste Raum für diese Arbeit. […] Und das kann man dann im ZKM entfalten. Und zwar in der Reihenfolge.“

Landré erkennt ebenfalls eine Intensivierung der Produktion durch die PEEK-Mittel: „Es findet mehr Reflexion, mehr Forschung statt, die eine bestimmte Form von Material generiert.“ Wobei es für sie wichtig sei, im Verlauf des Prozesses immer wieder die Notwendigkeit einer Ausstellung des Materiales zu reflektieren. Das ZKM betrachtet Möntmann zu diesem Zeitpunkt eher als ideale Möglichkeit für eine erweiterte Buchpräsentation: „Wenn ich genug Platz und Exklusivität habe und mich nicht verhalten muss gegenüber anderen […], dann kann ich einfach alles ausbreiten und sagen: Das habe ich gemacht.“

Doch auch beim „Ausfalten“ des Materials gälten, so Nina Glockner, die Parameter der Ausstellungsform: „Z. B. ist die EOC-Installation eine Übersetzung des Web- Archives; da sind die Stimmen, die Biografien; der übersetzende Eingriff ist minimal und trotzdem kommuniziert die Installation andere Aspekte der Arbeit, wie z. B. die Bedeutung des Kollektivs. […] Bei all den einzelnen Bereichen des Buches werden Übersetzungsaspekte relevant werden.“

Auch Stalder spricht die Bedingungen an, die eine räumliche Präsentation, eine Ausstellung mit sich bringen: „Wenn du das Buch ausbreitest, ist das die Präsentation. Wenn sie audio-visuell oder textlich ist, kommt der spezifische Raum hinzu und wird daher zu einer installativen Präsentation. […] Du überträgst das in einer heterogenen Materialform vorliegende Buch auf den Raum. Also Material, das im Buch, im Text, im Diagramm oder in welcher Form auch immer vorliegt, geht über in eine andere Materialität, du erzeugst einen neuen Aggregatzustand im Raum, um alle Aspekte zugänglich zu machen.“ In Bezug auf die spezifische Bedeutung des Raumes erwähnt Möntmann ihr Interesse „Raum zu besetzen, in Anspruch zu nehmen“. Dies gelte für alle Aspekte ihrer Arbeit.

Sonderegger bleibt kritisch und hinterfragt erneut die Bedeutung der geplanten Ausstellung: „Warum nicht ein Buch machen, Dein super Webarchiv Open Access stellen, zwischendurch mit Leuten verschiedener Art reden, warum noch den Kunstkontext hinzufügen? Dafür spricht bei vielen Leuten und bei vielen Arbeiten viel. Bei dir scheint es mir nicht unbedingt zwingend. […] Wo willst du hin? Wo sind Medien, Öffentlichkeiten, von denen du dir etwas versprichst und was für Entscheidungen erfordern sie?“

Auch Möntmann selbst verortet den Schwerpunkt der Projektveröffentlichung in Buch und Webarchiv, sieht aber in einer räumlichen Präsentation eine Erweiterung der Vermittlungsmöglichkeiten. Im Gegensatz zu der „hierarchischen“, der linearen Struktur eines Buches könne man, so Möntmann, „… in einem Raum eine ganz andere Wahl treffen. Man kann diese Ordnung wieder auseinandernehmen und anders gestalten, weil bei der Betrachtung des Ausfaltens innerhalb eines Raumes weniger eine Hierarchie, eine Blickrichtung vorgegeben wird.“

Felix Stalder erweitert diesen Gedanken: „Das Buch ausfalten, so wie ich das verstanden habe, heißt nicht, die Ordnung des gesamten Materials dreidimensional zu machen, sondern das Material, das im Medium Buch geordnet ist, anders zugänglich zu machen. […] Es kann verschiedene Arten geben, es zugänglich zu machen, wobei jeweils gewisse Dinge hervorgehoben, aber notwendigerweise andere Elemente, die enthalten sind oder enthalten sein können, quasi verschlossen werden. Deswegen willst du nicht ein System, sondern du eröffnest ein Spannungsfeld von verschiedenen Ordnungen.“ Er betont, dass dieses Spannungsverhältnis, das sich aus dem Nebeneinanderstellen von Material ergebe, die vorhandene Menge erahnen lasse, ohne sie als Ganzes sichtbar zu machen. Das Material sei nur „innerhalb eines Ordnungssystems, aber nie für sich alleine“ erfassbar. „Das Material gibt es ja als Material gar nicht, sondern immer nur in einer spezifischen Ordnung, die auch eine andere sein könnte.“ In diesem Zusammenhang interessiert ihn der Gedanke, wie sich künstlerische Arbeit zum Forschungsprozess verhalte: „Der Forschungsprozess ist für mich das Generieren von Material nach einem Set von Methoden. Dann stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten es gibt, um dieses Material zugänglich zu machen und das ist es, was künstlerische Forschung eben kann, da sie ein breiteres Repertoire an Formaten hat.“

AKTIONISMUS / INTERVENTIONISMUS IN TBDWBAJ

Ruth Sonderegger erkennt neben dem Anliegen zu forschen, Material zu generieren und dem tendenziell „künstlerischen Interesse an verschiedenen Ordnungen und Präsentationsformen“ in Möntmanns Arbeit mindestens noch eine dritte wichtige Ebene, nämlich die „interventionistische oder vielleicht auch aktionistische“. Hinsichtlich der Ebene der Polit- und Öffentlichkeitsarbeit gehe es darum, „… Einspruch gegen Knastordnungen zu erheben, und – manchmal auch ganz wörtlich/real – Lebensbedingungen für diese Frauen zu verändern. Und dann ist man jenseits von autonomer Kunst. Weil man einen Eingriff schaffen möchte, hat man einen Zweck oder ein Ziel. Und das finde ich gerade spannend bei deiner Arbeit, dass es autonome Partien gibt, aber auch ganz klar interventionistische. Es stellt sich ja nicht nur die Frage, was für verschiedene Ordnungssysteme ich haben kann, sondern was ich bewirken kann.“ So betont sie als wichtiges Potential der Arbeit, Öffentlichkeiten zu verschieben, zu durchkreuzen, zu mischen – z. B. indem „… geschlossene Räume, in denen wenig Austausch zirkuliert“ in die Öffentlichkeit gebracht würden: „Ich sehe für deine Arbeit viele Wege in die Öffentlichkeit und die führen tendenziell nur bedingt in Kunsträume.“

Da Elke Bippus ihr eigenes Aktionsfeld innerhalb der Kunst und der Wissenschaft verortet, stellt sich ihr die Frage, wo dort der Raum für „Aktionismus“, für „Interventionen“ sei. In ihren Handlungsspielraum könne sie zum Beispiel Ulrikes Arbeit durch Vorträge anders in den Diskurs hineintragen. Sie richtet sich an Sonderegger mit dem Gedanken, ob ein politisches Momentum des Projektes verloren gehe, wenn man „sehr akademisch“ im Kunst- und Wissenschaftsfeld agiere „… und damit eine andere Öffentlichkeit erreicht? […] Deswegen wollte ich über die Involviertheit sprechen, das Politische unseres eigenen Handelns innerhalb der Projektstruktur“. Für sie habe das Vorgehen, „… dass bestimmte Themen ins Feld der Kunst, ins Feld der Wissenschaft getragen werden, wie auch gewisse Verfahrensweisen und dass ein bestimmtes Wissen hervorgebracht wird“ ein politisches Momentum.

Wissenschaft und Kunst bezeichnet Sonderegger als „große, hartnäckige Apparate“, in denen es für sie nicht einfach sei, sich zu bewegen. Ihrer Meinung nach werde es „… dann politisch, wenn es keine Konsensräume mehr sind. […] Da stimme ich auch mit Rancière überein. Konsensverweigerung als Mikropolitik zu bezeichnen, damit kann ich eine Menge anfangen. Die kann im Ausstellungsraum zwar wahrnehmbar sein, ist aber eine andere Form von Widersetzlichkeit als diejenige, mit der ich versuche, durch alle möglichen Instanzen zu gehen und dafür kämpfe, dass Knastfrauen z. B. andere Möbel bekommen, wie Du, Ulrike, das getan hast und weiterhin tust. […] Politik ist dort, wo Dissens ist oder wo man überhaupt einen herstellen kann, ohne dass er gleich integriert wird.“

*„Out of the Box – 10 Fragen an künstlerische Forschung“, eine Ausstellung der Universität für angewandte Kunst Wien, 28. 11. 2013 – 05. 01. 2014, Museum für Angewandte Kunst, Wien, A. Alle ausgestellten Projekte werden vom FWF/ PEEK gefördert und sind der Universität für angewandte Kunst angeschlossen.
**Michel Foucault, Ästhetik der Existenz. Schriften zur Lebenskunst, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M., 2007
***Ästhetik der Existenz, T:G/10, ith Edition Voldemeer, AMBRA, Zürich, 2013; Downloadlink zum vollständigen Gespräch hier

Transkription und Text: Nina Glockner