Outcast Registration

Der Titel des Projekts bezieht sich zum einen wortwörtlich auf die organisierte Kanalisierung von zubereiteten Lebensmitteln. Durch eine Schleuse wird die Bewegung des Essens zwischen zwei Räumen reguliert, und zwar – ihrem Prinzip entsprechend – ohne dass es jemals einen direkten, beidseitig offenen Austausch zwischen den Räumen gibt. Darin liegt zum anderen die symbolische Dimension der Schleuse, die entlang einer wie auch immer begründeten Priorisierung und Notwendigkeit die Interaktion zweier Bereiche unterbindet, aber zugleich auf eine bestehende Beziehung der beiden verweist.

Entstanden ist das Projekt im Rahmen einer Ausschreibung zur künstlerischen Gestaltung eines innerstädtischen Raumes, in dem sich verschiedene Bevölkerungsgruppen begegnen sollen. Dass dieses künstlich arrangierte Aufeinandertreffen von ›rechtmäßigen‹ Bürger:innen und als problematisch erfahrenen ›Anderen‹ zumeist nur unter einseitigen Bedingungen und damit letztlich nie wirklich zustande kommt, spiegelt sich in der Abwegigkeit des Schleusensettings.

ZUM PROJEKTAUFBAU

Der gesamte Projektbereich besteht aus drei Räumlichkeiten: Speisesaal, Küche und Schleuse. Während der Speisesaal für die Öffentlichkeit zugänglich ist, ist die Küche ausschließlich dem Personal vorbehalten; das zentrale Element dazwischen, die Schleuse, wird für die Beförderung der Mahlzeiten genutzt.

Eine Schleuse trennt einen Bereich in zwei Teile, hier also Speisesaal und Küche, und ist damit verbindendes und trennendes Element zugleich; die Interaktion ist strikt reglementiert. Wie bei einer Schleuse üblich, ist sie zwar potenziell von beiden Seiten zugänglich, ihre Benutzung jedoch immer nur einseitig: die Bewegung darin erfolgt zwangsläufig immer nur in eine Richtung – hier von der Küche zum Speisesaal, niemals umgekehrt.

Der Speisesaal ist von der Straße einsehbar. Er ist in einem modernen Stil eingerichtet und, den Vorlieben einer gehobenen Klientel entsprechend, perfekt ausgestattet. Personal gibt es hier jedoch nicht, die Gäste sind ganz unter sich. Sie bestellen und bezahlen ihre Mahlzeiten elektronisch, an einem im Raum installierten Automaten, in den sie bestimmte Bestellcodes eingeben und die gewählten Mahlzeiten dann an der Schleuse abholen.

Das Küchenpersonal ist vom Speisesaal aus nicht zu sehen, auch der Zugang zur Küche erfolgt ausschließlich über einen gesonderten Personaleingang. Die gesamte Raumaufteilung ist so konstruiert, dass jeder Kontakt zwischen Gästen und Personal vermieden wird. Einziges Kommunikationsmittel ist der elektronisch übermittelte Code zur Essensbestellung.

Stil und Ambiente des Speiselokals entsprechen den Ansprüchen und Erwartungen eines breiten, kulturell und kulinarisch versierten Teils der Bevölkerung. Die Gäste der Schleuse sind daran interessiert, soziale Zusammenkünfte und/oder geschäftliche Verpflichtungen bei einem guten Essen in angenehmer Atmosphäre zu erleben. Die sie Bewirtenden, wenn auch als solche nicht identifizierbar, bestehen auch hier, wie in allen Projekten der OUTCAST REGISTRATION, aus aktuellen und ehemaligen Strafgefangenen, aktuell und ehemals Drogenabhängigen, die die bestellten Gerichte unter der Aufsicht von Köch:innen zubereiten.

Das Angebot und die Qualität der Speisen sind hervorragend, obwohl die Preise deutlich unter denen anderer Restaurants mit vergleichbarem Standard liegen. Das Speiselokal unterscheidet sich allerdings dadurch, dass eine wesentliche Legitimationsdynamik der gehobenen Gastronomie hier nicht greift: Die übliche gegenseitige Zugehörigkeitsbestätigung zwischen Gästen und Bewirtenden fehlt völlig.

SIMULATION SOZIALER VERHÄLTNISSE

Mit den privilegierten Gästen auf der einen und dem nahezu unsichtbaren Personal auf der anderen Seite symbolisiert die »Essensschleuse« die Kontaktlosigkeit zweier unvereinbarer Gruppen der Gesellschaft innerhalb eines bestimmten sozialen Settings. Die »Essensschleuse« ist daher eine theatrale Inszenierung, eine Simulation gegenwärtiger gesellschaftlicher Strukturen und Vorstellungen.

Ihr Prinzip ähnelt dem der münzbetriebenen Fast-Food-Automaten an französischen Autobahnhotels, die Tag und Nacht Würstchen ausgeben, oder den Schlafsälen in überfüllten japanischen Städten, in denen man per Kreditkartenzahlung ein Bett mit Frühstück erhält, ohne auf Personal zu treffen. Beides beruht auf der Idee, Menschen durch Maschinen von kräftezehrender, erniedrigender Arbeit zu befreien und auf diese Weise programmierte anonyme Rund-um-die-Uhr-Funktionalität anstelle von kostenintensiver individueller Betreuung und persönlicher Begegnung zu bieten. Die Maschine – hier der Bestellautomat für die ausgewählten Speisen – spielt lediglich die Rolle des kommunikativen Vermittlers zwischen Auftraggeber:in und Dienstleister:in. Was dabei verdrängt oder vielmehr bewusst ausgeblendet wird, ist die Tatsache, dass hinter der maschinellen Abwicklung des Vorgangs noch immer Menschen stehen, die die ihnen aufgetragenen Arbeiten erledigen.

Laut dem deutschen Philosophen Peter Sloterdijk kommt es in der Frage nach der menschlichen Existenz nicht darauf an, was ein Mensch ist, sondern wo er ist: nämlich in der Welt, genauer: in einem »Menschenpark«1). Dass jeder Mensch notwendigerweise irgendwo verortet sein muss, impliziert, dass seine Existenz an eine Örtlichkeit statisch gebunden ist. Daraus folgt jedoch auch, dass einem als ungleich diskreditierten Exemplar von Mitmensch der Zugang zu jenem Bereich des Parks, der nur einer bestimmten Gruppe vorbehalten sein soll, verwehrt bleibt.

So kann die eine Gruppe in einem gediegenen Rahmen unbehelligt exquisite Speisen genießen, während die andere Gruppe in der Küche verborgen bleibt, um diese Speisen auf anonymisierten elektronischen Zuruf hin zuzubereiten. Sloterdijk führt diese einseitige Zurückweisung einer gleichwertigen uneingeschränkten Anwesenheits- und aktiven Teilnahmeberechtigung aller Menschen auf die Normen zurück, die für die westlichen »Parks« gelten: Es ist ein Leben in der Komfortzone, das keine Störfaktoren duldet. Die ausgeprägte Hilfsbedürftigkeit jenseits ihrer Grenzen entzieht sich der Wahrnehmung ihrer privilegierten Bewohner:innen.

CHRONISCHE AMBIVALENZ

Und doch bringt diese so bequem eingerichtete Exklusivität Nachteile mit sich: Die vermeintlich sorglose Ruhe in der gezähmten Konsumgesellschaft erzeugt ihrerseits Langeweile und damit wiederum Stress. Diese beiden Grundtöne der allzu komfortablen Existenz bewirken eine Stimmung chronischer Ambivalenz, in der sich Beunruhigung und Beruhigung ständig abwechseln müssen. Langeweile wird daher mit verschiedenen Formen der künstlich hervorgerufenen Aufregung vertrieben, und der dann einsetzende und ebenso als unangenehm empfundene Stress- und Alarmzustand rasch mit psychologischen oder auch spirituellen Methoden des sogenannten Life Coachings gemildert, was die enorme Zunahme ihrer Popularität und Akzeptanz erklärt.

Ein nur schwer definierbarer Drang, aus dem Kokon einer gemächlichen Existenz auszubrechen und sich zugleich darin zu bestätigen, liegt dem massenhaften Verlangen zugrunde, das Fremde und Unbekannte, das Wilde und Exotische, das Kaputte, Verrückte, Hässliche und Grauenerregende aufzusuchen. Dabei geht es jedoch nicht darum, etwas oder jemanden in seiner Andersartigkeit zu sehen, zu erleben und zu verstehen, denn das würde ein wahrhaftiges Interesse, ein Gefühl der Gemeinsamkeit voraussetzen. Vielmehr geht es um eine wohltuende Legitimation dessen, wer und was man selbst ist – deutlich spürbar angesichts des Unterschieds zu dem (vermeintlich) so ganz ›Anderen‹.

Um dieses triumphierende Gefühl zu erreichen, sind Menschen gern bereit, bestimmte Orte wie einen Zirkus oder Zoo, abgelegene Gegenden, Katastrophengebiete, Slums oder Rotlichtmilieus aufzusuchen. Sie können sich einem kollektiven Erschauen und Erschauern in der wohligen Gewissheit hingeben, anschließend nach Hause zu gehen, beruhigt von der Erkenntnis, dass sie nicht so sein oder leben müssen.

VERZERRTE WAHRNEHMUNGEN

An der beschriebenen morbiden Neugier scheiterte beispielsweise der Versuch, in Amsterdam ein von heroinsüchtigen Sexarbeiterinnen betriebenes Café zu etablieren, die auf diesem Weg aus dem Prostitutionsgewerbe aussteigen wollten. Zu einseitig war die Offenbarung der persönlichen Verletzlichkeit, die an den Erhabenheitsgefühlen der sensationslüsternen Gäste nicht rütteln konnte, sie vielmehr bekräftigte.

Hannah Arendt vertrat die Ansicht, dass der öffentliche Raum ein Bereich sein kann, in dem die »Gegenwart anderer, die sehen, was wir sehen, und hören, was wir hören, […] uns der Realität der Welt und unserer selbst« versichert 2). In diesem immer schon vorhandenen »Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten«, »das sich überall bildet, wo Menschen zusammenleben«, schlagen wir durch unser Handeln und Sprechen »Fäden« in ein bereits bestehendes »Muster«. Indem wir unserer »Lebensgeschichten« mit ihren »zahllosen, einander widerstrebenden Absichten und Zwecken« einbringen, »verändern« wir dieses Gewebe und »affizieren« uns gegenseitig »auf einmalige Weise« 3). Voraussetzung dafür ist jedoch nach Arendt, dass wir uns in Freiheit und Gleichheit begegnen – eine unerlässliche Forderung, die, wie das eingangs geschilderte Beispiel des Amsterdamer Cafés deutlich macht, häufig nicht eingelöst wird.

Und noch etwas zeigt sich daran, dass nämlich umgekehrt Außenseiter:innen – ob freiwillig oder erzwungenermaßen in dieser Rolle – ebenfalls eine Sehnsucht in sich tragen, in die Komfortzone zu gelangen. Im Fall der (Ex-)Junkies prallen jedoch häufig die Erfahrung als gesellschaftlich gebrandmarkter ›Abschaum‹ und das Bedürfnis nach einer verlorenen oder nie erlebten bürgerlichen Existenz drastisch aufeinander.

Getrieben von dem Wunsch nach diesem anderen, besseren Leben phantasieren Junkies die Erlösung aus ihrem bisherigen Dasein herbei, wenn sie endlich ihre Therapie abgeschlossen haben oder aus dem Gefängnis entlassen werden. Diese Hoffnung wird von der Idee genährt, Therapie und Inhaftierung als Resozialisierungsmaßnahmen zu begreifen, die Häftlingen dabei helfen soll, ihr künftiges Leben in der Gemeinschaft in einem sicheren Umfeld zu üben. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass Nachahmung und künstlich aufgezwungene bürgerliche Lebensstile weder zu einem tatsächlich gelingenden Leben in Freiheit und Gesellschaft noch zu einem auf Unabhängigkeit beruhenden Selbstvertrauen führen. Das Bemühen, den Normen des ›normalen‹ Lebens zu folgen, steht nicht nur in krassem Gegensatz zur Lebenserfahrung der ehemaligen Häftlinge, sondern verzerrt auch realistische Erwartungen daran.

HYPERREALISTISCHE WIRKLICHKEIT

Die »Essensschleuse« ist der Ort schlechthin, an dem sich grundlegende Wünsche der Menschen nach Anerkennung und Zugehörigkeit abbilden. Während die Gäste des Speisesaals diese Bedürfnisse durch das luxuriöse Essen unter ihresgleichen befriedigen, bezieht das säuberlich von ihnen getrennte Personal in der Küche seine Legitimation aus der bloßen, wenn auch unsichtbaren Anwesenheit in der Szenerie.

Die Selbstvergewisserung im Fall des Amsterdamer Cafés äußerte sich in einer Art distinktivem Voyeurismus: Das Nicht-Dazugehörige wird lustvoll beschaut und damit als solches auch bestätigt. Dieses Bedürfnis erfüllt sich bei den Gästen der Schleuse durch die stille, passiv genossene Gewissheit, dass im Verborgenen für die Erfüllung ihrer Wünsche schon gesorgt wird – wie und durch wen auch immer.

Das Küchenpersonal wiederum ist in seiner illusionären Sehnsucht, in diese Komfortzone zu gelangen, darum bemüht, durch Anpassung und Imitation Anschluss zu finden, um zumindest in irgendeiner Weise am bürgerlichen Leben zu partizipieren. Letztlich bleibt der Wunsch nach Teilhabe aber vonseiten der Gäste wissentlich und willentlich unerfüllt.

Was ist schließlich der Sinn der »Essensschleuse«? Es gibt ihn nicht. Sie ist eine Simulation, also – mit Baudrillard gesprochen – »jener unwiderstehliche Ablauf, bei dem die Dinge so miteinander verkettet werden, als ob sie einen Sinn hätten, während sie eigentlich nur durch eine künstliche Montage und durch den Unsinn organisiert werden«4). Die Essensschleuse ist eine hyperrealistische Version der Wirklichkeit, die sich letztlich jeder sinnvollen Interpretation oder Lösung widersetzt – und genau damit auf die realen Verhältnisse grell zurückverweist.

1) Siehe Peter Sloterdijk: Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortschreiben zu Heideggers Brief über den Humanismus, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1999.

2) Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben. Hg. von Thomas Meyer. Erweiterte Neuausgabe. München: Piper 2020, S. 63.

3) Ebd., S. 225 f.

4) Jean Baudrillard: »Das Aufsteigen der Leere zur Peripherie hin«, in: ders. Die Illusion des Endes oder Der Streik der Ereignisse. Aus dem Französischen übersetzt von Ronald Vouillé. Berlin: Merve 1994, S. 29-40 (?), hier S. 30.