OUTCAST REGISTRATION dient als Archiv der einzelnen Forschungsprojekte von Ulrike Möntmann, führt deren Ergebnisse zusammen und dokumentiert diese. Die gesammelten Daten aus allen Projektphasen ermöglichen Betrachtung und Vergleich der kulturellen, sozialen, geografischen und politischen Unterschiede ebenso wie die zahlreichen Parallelen in den Lebenswegen aller Teilnehmerinnen.
Im Mittelpunkt aller Projekte der OUTCAST REGISTRATION stehen die Biografien drogenkranker Frauen in Europa. Im Dialog mit den Teilnehmerinnen werden mit Hilfe der Matrix-Methode ihre faktischen Biografien entwickelt, die ihr Leben als eine Abfolge von Ereignissen und Entscheidungen, von Aktion und Reaktion darstellen.
Die konzeptionelle Architektur der OUTCAST REGISTRATION fußt auf der Untersuchung verschiedener sozialer Räume, des isolierten Raums, des kulturellen Raums und des öffentlichen Raums. Situationen und Perspektiven drogenkranker Frauen werden in jedem der passierten Räume gesellschaftlich wahrnehmbar gemacht.
THIS BABY DOLL WILL BE A JUNKIE sowie PARRHESIA sind genderspezifische, kunstbasierte Forschungsprojekt, die sich einem konsequent vernachlässigten Phänomen europäischer Gesellschaften widmet: Obwohl der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl Drogenkranker europaweit nur zwischen 4 und 14 % liegt – und damit juristisch wie gesellschaftlich als unerheblich gilt –, sind ca. 65 % der in europäischen Gefängnissen inhaftierten Frauen drogensüchtig. Wie kann es sein, dass dieser Status quo zur Marginalisierung der Betroffenen führt und was hat sie überhaupt in diese prekäre Außenseiterposition gebracht?
Außenseiter:innen, also marginalisierte Gruppen in einer Gesellschaft wahrzunehmen, ihre Lebensbedingungen zu registrieren, zu erforschen und öffentliche Sichtbarkeit für sie einzufordern, ist das Hauptanliegen des künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsprojekts. Sie alle leiden unter ähnlichen systematischen Exklusionsverfahren, die sie immer wieder und immer weiter an den gesellschaftlichen Rand drängen. Im Unterschied zu ihren männlichen Leidensgenossen gelten drogensüchtige Frauen in europäischen Gefängnissen als ein solches »vernachlässigbares Phänomen«. Dem widerspricht die Arbeit der OUTCAST REGISTRATION, indem es das Bedürfnis der Teilnehmerinnen wahrnimmt, ihre Lebenswege zu einer öffentlichen Angelegenheit zu machen, was schließlich auch heißt, einen Teil der Verantwortung für ihre Erkrankung der Gesellschaft zurückzugeben.
Akronym für den Projekttitel THIS BABY DOLL WILL BE A JUNKIE, der suggeriert, dass Drogensucht ein zwangsläufiges Schicksal ist, eine unheilvolle Prophezeiung für ein Menschenleben, das kaum begonnen hat. Er widerspricht zum einen gängigen Vorstellungen von Freiheit, Unabhängigkeit, Chancengleichheit und individueller Selbstbestimmung als garantierten, unanfechtbaren Rechten jedes Individuums. Zum anderen kritisiert er auch eine fatale Konsequenz dieses Ideals, das häufig mit der vermeintlichen Berechtigung einhergeht, die Drogenerkrankung und die daraus resultierenden Gesetzesverstöße als rein individuelle Angelegenheit persönlichen Versagens zu verurteilen. Dieses Nicht-Betrauern derjenigen, denen bereits ein lebenswertes Leben abgesprochen wurde, diskreditiert Verbundenheit, d.h. die Bereitschaft, sich in Gleichheit und Verschiedenheit auf eine gemeinsame Welt einzulassen.
die Projekte der OUTCAST REGISTRATION bewegen sich in unterschiedlichen topologischen Sphären, in Räumen also, die ihrerseits spezifische gesellschaftliche Funktionen widerspiegeln und allesamt eine private (individuelle) und eine öffentliche (gemeinschaftliche) Bedeutung haben. Dass der private Raum hier weitgehend ausgeklammert wird, verweist auf den problematischen Umstand, dass sich das Private in demokratischen Systemen grundsätzlich – und grundgesetzlich verankert – dem öffentlichen Blick entzieht. Das schützt zwar richtigerweise vor staatlicher Kontrolle und Einmischung, nicht aber das (sexueller) Gewalt ausgesetzte Menschenleben hinter verschlossenen Türen. Für alle an den Projekten beteiligten Frauen ist der private Raum, wie an ihren jeweiligen Biografien deutlich wird, nie ein Schutzraum gewesen – im Gegenteil. Da der Zugang hier verwehrt ist, konzentrieren sich die Projekte der OUTCAST REGISTRATION auf soziale Räume, die zwar begehbar, aber normalerweise ebenfalls strikt voneinander getrennt sind, und initiieren darin Begegnungen oder auch Konfrontationen zwischen ihren Bewohner:innen: im isolierten Raum, der das auferlegte abgesonderte Leben fernab der Gesellschaft bezeichnet, beispielsweise Gefängnis, Therapieeinrichtung, Psychiatrie oder Asyl; im kulturellen Raum, der institutionell legitimierte und geförderte Orte und Einrichtungen bezeichnet, darunter Museen, Kunsthallen und Galerien, aber etwa auch einen Spielplatz, Park oder Zoo, und zwar im dezidierten Unterschied zu subkulturellen, geheimen oder sogar verbotenen Räumen für solche Ideen, Gedanken und Lebensformen, die gesellschaftlich mehrheitlich und/oder von offizieller Seite aus der Öffentlichkeit verbannt werden; im öffentlichen Raum, der im Idealfall das Bedürfnis und die Verpflichtung aller Menschen bezeichnet, unabhängig von erteilten, erworbenen oder erzwungenen Autorisierungen und Privilegien öffentlich all das artikulieren zu können, was uns alle angeht. Im Sinne Hannah Arendts ist die Sphäre des Öffentlichen nicht nur eine Möglichkeit, sondern vielmehr eine Aufforderung zum Handeln.
stammt aus dem Griechischen und bedeutet »Redefreiheit« oder »über alles reden«. Es ist der theoretische Schlüsselbegriff des gleichnamigen Projekts PARRHESIA: DIE RISKANTE HANDLUNG DES WAHRSPRECHENS, das sich auf die Ausführungen Michel Foucaults zum parrhesiastischen Sprechen stützt. Ausgehend von der antiken Tradition des Wahrsprechens, das sich bis zu Euripides zurückverfolgen lässt, erklärt Foucault parrhesia als eine verbal-performative Tätigkeit, »bei der der Sprecher seine persönliche Beziehung zur Wahrheit ausdrückt und sein Leben aufs Spiel setzt, weil er das Wahrsprechen als eine Pflicht erkennt, um anderen Menschen (so wie sich selber) zu helfen oder sie zu verbessern. [...] Bei parrhesia gebraucht der Sprecher seine Freiheit und wählt Offenheit anstelle von Überredung, die Wahrheit anstelle von Falschheit oder Schweigen, das Risiko des Todes anstelle von Leben und Sicherheit, die Kritik anstelle von Schmeichelei, und die moralische Pflicht anstelle von Eigennutz und moralischer Gleichgültigkeit.« (Quelle: Michel Foucault: Der Mut zur Wahrheit. Die Regierung des Selbst und der anderen, Bd. II. Vorlesungen am Collège de France 1983/84. Aus dem Französischen übersetzt von Jürgen Schröder. Frankfurt a. M.: Suhrkamp: 2012, S. 26.)
ein Katalog mit vorgedruckten, sowohl positiv als auch negativ kontextualisierbaren Begriffen, die auszuwählen und den jeweiligen Lebensabschnitten zuzuordnen sind und es den beteiligten Frauen ermöglichen, ohne emotionale Aufladung oder Wertung Auskunft über traumatische Erlebnisse zu geben, die bislang nicht mitteilbar waren.